Versöhnung in Kirche suchen

 

■ Am ersten Sonntag nach dem Fest Epiphanie eines jeden Jahres feiert die katholische Kirche das Fest der Heiligen Familie Jesus, Maria und Josef. Dabei gedenken wir primär, wie das gegenseitige Verhältnis Mariens und Josefs zu Jesus bzw. das Verhältnis Jesu zu Seiner leiblichen Mutter und dem (gesetzlichen) Vater war, wie eben die Heilige Familie gelebt hat. Dabei können auch wir dann viele Denkanstöße ableiten, was auch uns dann im Zusammenleben der Familiengemeinschaft zeigen wird, aber auch in jeder anderen menschlichen Gemeinschaft – so u.a. auch in der Kirche als Glieder derselben, wie man nämlich miteinander auskommen soll.
Denn als katholische Christen bilden wir in der katholischen Kirche auch eine Art Familie. So schreibt der hl. Apostel Paulus in der Lesung des betreffenden Festes: „Ertraget einander und verzeiht, wenn einer am anderen etwas auszusetzen hat. Wie der Herr euch vergeben hat, so sollt auch ihr vergeben. Über all das habt die Liebe, die das Band der Vollkommenheit ist. In euren Herzen walte der Friede Christi. Dafür seid ihr als ein Leib berufen.“ (Kol 3,12-15.)
Es gibt ja auch in der Kirche Meinungsverschiedenheiten, Reibereien, Differenzen. Da wir alle Menschen sind, ist dies auch kaum zu vermeiden. Die entscheidende Frage ist dann aber, wie wir damit umgehen, ob wir nämlich einen Weg daraus zur Lösung der Probleme suchen bzw. welchen wir dabei einschlagen. Die gerade zitierte Ermahnung Pauli setzt voraus, dass man sachlich miteinander umgeht und auch das Gespräch miteinander sucht und somit keinesfalls bei Vorurteilen bleibt. Auf diese Weise zeigen wir dann unter anderem auch an, ob wir wirklich von einer kirchlich-katholischen Gesinnung beseelt sind oder doch vordergründig allzu menschlichen Vorurteilen den Vorzug geben.
In Bezug auf Maria und Josef sei vielleicht auch einmal die Frage erlaubt, ob es denn zwischen ihnen beiden ebenfalls zu Differenzen gekommen sei. Wohl sind wir berechtigt anzunehmen, dass es bei ihnen niemals zu ernsthafteren Auseinandersetzungen bzw. zu Streit gekommen ist, wie wir es ja von den sonstigen Ehen kennen. Denn das würde ja bei einem der beiden ein gewisses Maß an Ungerechtigkeit im Denken voraussetzen. Jedenfalls in mir persönlich wehrt sich alles gegen eine solche Annahme.
Dagegen würde man ihnen wohl kein Unrecht antun, wenn man annehmen sollte, dass es bei ihnen auf der Ebene des menschlichen Zusammenlebens doch auch zu Meinungsverschiedenheiten gekommen sei. Denn verschiedener Meinung in Bezug auf bestimmte Alltagsfragen zu sein, setzt nicht notwendigerweise ein sündhaftes Denken und Wollen voraus. So können sehr wohl auch Heilige verschiedener Ansicht sein, ob man z.B. dieses oder jenes Kleidungsstück angesichts der aktuellen Wetterlage anlegen sollte, ob dieses oder jenes Gericht nahrhafter und somit zweckdienlicher etwa bei einer Erkrankung wäre.
Man kann natürlich sagen, und das wäre keine völlig unberechtigte Annahme, dass Maria sich in allem Josef, ihrem gesetzlichen Ehemann, unterworfen hätte. Er sei halt das Haupt der Familie und sie als seine Frau habe zu schweigen und ihm in allem zu gehorchen. Die Frage ist allerdings, ob der hl. Josef bereit war, ihr nur von oben herab zu diktieren und zu befehlen, was sie zu tun hätte, wie es damals und später sicher viele jüdische Ehemänner getan haben. Zumal Josef ja bestens wusste, dass die hl. Jungfrau auf übernatürliche Weise empfangen hatte bzw. wer dieses Kind war und welche heilsrelevanten Verheißungen auf Ihm ruhten! Wie Elisabeth es für eine unverdiente Gnade hielt, „dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt“ (Lk 1,43), so war sich auch Josef der einmalig-herausragenden Würde Mariens im Heilsplan Gottes bewusst!
Besonders sichtbar tritt die außergewöhnliche Hochachtung Josefs vor Maria bei der Situation in Erscheinung, als er während seiner Verlobungszeit mit ihr erfahren hatte, dass sie bereits ein Kind, Jesus nämlich, erwartete. Und er wusste, dass es biologisch nicht von ihm war! An sich musste da ja angenommen werden, dass Maria während dieser Verlobungszeit ein sündhaftes Verhältnis mit einem anderen Mann gehabt hatte. Nach dem jüdischen Gesetz hätte er sie daher in offizieller Form vor zwei Zeugen entlassen können und sollen. Denn „verging sich die Frau in dieser Zeit geschlechtlich, galt sie als Ehebrecherin“ (Gnilka, Joachim, Das Matthäusevangelium. Herder 1986, 1. Teil, S.17.) Maria wäre dann für den Rest ihres Lebens entsprechend gebrandmarkt gewesen und hätte wohl kaum jemals eine Familie gründen können.
„Josef aber, ihr Mann, war gerecht und wollte sie nicht bloßstellen, und so gedachte er, sie still zu entlassen“ (Mt 1,19). Zwar wusste er zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass Marias Kind vom Heiligen Geist ist, wie es ihm daraufhin durch die Erscheinung eines Engels des Herrn im Traum mitgeteilt wurde (vgl. Mt 1,20-24). Aber offensichtlich hatte er im Umgang mit Maria bereits eine solche Hochachtung, ja sogar tiefe Ehrfurcht vor ihr gewinnen, dass er sich einfach nicht vorstellen konnte, dass sie als ein höchst ehrbares Mädchen bzw. als eine hochanständige Frau, wie er sie zuvor ja schon erleben konnte, ein billiges Mädchen und eine primitive Ehebrecherin sei. Daher wollte er sie lediglich heimlich entlassen, ohne dass sie öffentlich bloßgestellt würde.
Somit hätte er in gewissem Umfang sowohl das alttestamentarische Gesetz erfüllt als auch Gerechtigkeit Maria gegenüber obwalten lassen. Nach jener Erscheinung im Traum aber „stand Josef vom Schlaf auf und tat, wie ihm der Engel des Herrn geboten hatte. Er führte seine Gattin heim, doch ohne sie zu erkennen. Sie gebar dann einen Sohn. Und er gab Ihm den Namen Jesus.“ (Mt 1,24f.) Angesichts dieser Rechtschaffenheit Josefs und seiner Hochachtung vor Maria kann man sich also kaum vorstellen, er hätte sie danach jemals angeherrscht bzw. sie wie auch immer von oben herab behandelt. Wäre es ihm je notwendig erschienen, auf seiner Meinung zu bestehen, hätte Josef ihr den Grund für seine betreffende Entscheidung auch sicher mit Würde liebend-respektvoll und geduldig erklärt! Welches edle Vorbild für uns alle!
Das Besondere daran ist, dass er zwar sehr wohl nach dem Buchstaben des Gesetzes hätte handeln und Maria als Ehebrecherin öffentlich brandmarken können. Aber er hat weiter und tiefer gedacht und eben die bis dahin erfahrene Unbescholtenheit Mariens als nicht unwesentlich berücksichtigt. Wohl spürte er in der Feinfühligkeit eines gerechten Menschen, dass er den guten Ruf Mariens nicht durch eine leichtfertige Vorverurteilung aufs Spiel setzen sollte. Wird ja im Evangelium ausdrücklich unterstrichen, dass Josef „gerecht“ war – gerecht im Sinne des geistigen Weitblicks und nicht einer rein verengt-formalen Gesetzesformulierung!
■ Wenn schon Josef und Maria so respekt- und würdevoll miteinander umgegangen sind, dann sollen wir wohl noch mehr achtgeben auf das, was wir über unsere Mitmenschen denken und gegebenenfalls auch verbal in die Öffentlichkeit hinaustragen, da wir doch sittlich wirklich schwach sind und sich bei uns häufig Fehler in Bezug auf die Beurteilung anderer Menschen einschleichen.
So stößt man gelegentlich auf bestimmte Verhaltensweisen, wo man fragen möchte, ob die Leute da sozusagen noch richtig bei Sinnen seien, da sie alle denkbaren Grenzen des gerechten Umgangs miteinander zu übertreten scheinen. Dabei reden wir ganz bewusst nicht über Menschen, die dem Glauben fern stehen und die sittlichen Gebote Christi nicht kennen. Nein, hier soll mal ausdrücklich die Rede von uns, katholischen Christen, sein, die wir uns glaubensmäßig ausdrücklich der Tradition der Kirche verpflichtet fühlen. Wir stehen da umso mehr in der Verpflichtung, da wir auch tiefer fallen können, und sollten uns dessen auch immer bewusst sein!
Denn unser betreffendes eventuell schlechtes Beispiel könnte den anderen Menschen dann auch umso stärker zum Ärgernis werden und sie sogar von der Kirche als solcher abstoßen. So hörte ich noch in den 1980-er Jahren über einen traditionstreuen Priester, wie er sich einem Bekannten gegenüber bitter darüber beklagt hatte, dass manche Außenstehende, die nicht zu den eigenen Schäflein zählen, sich gelegentlich viel anständiger benehmen würden als die sogenannten Traditionalisten. Eine höchst traurige Feststellung.
Da wird z.B. ein Mensch geachtet und respektiert. Man hat eine gute Meinung von ihm und in seinem Reden und Handeln spiegelt sich eindeutig und unmissverständlich sein überlieferter katholischer Glaube wider. Und dann kommt eine böse Zunge daher und streut ein böses Gerücht über diesen Menschen. Statt dann aber als anständiger Mensch zunächst einmal auf diesen Menschen zuzugehen und ihn zu fragen, ob denn die schlimmen Behauptungen über ihn stimmen würden bzw. was er dazu sage, stimmt man völlig unkritisch in den Chor der Kritiker ein, obwohl man bisweilen fachlich keine Ahnung von der zur Debatte stehenden Frage hat.
Ja, manche sind sehr wohl unser aller schwerer Verpflichtung vor der Wahrheit eingedenk. Auf diese Weise wird dem betreffenden „Angeklagten“ auch eine Chance gegeben, sich sowohl grundsätzlich dazu zu äußern als auch gegebenenfalls die betreffenden Vorwürfe zu entkräften. Denn vielleicht wird einem dann auch aufgezeigt, dass man selbst etwas Zweckdienliches zur Sachmaterie nicht gewusst hatte und es somit auch nicht berücksichtigen konnte. Gilt ja der eherne Grundsatz in der zivilen wie kirchlichen Rechtsprechung: „Audiatur et altera pars“ – „Es möge auch die andere Seite gehört werden“!
Dennoch gibt es auch Fälle, die wir leidlich beklagen müssen, in welchen die Leute etwas schwerwiegend Nachteilhaftes über jemand hören und sich dann nicht die geringsten Mühen machen, der Sache insofern auf den Grund zu gehen, dass sie gerade auch beim Beschuldigten mal nachfragen, ob es sich denn wirklich so verhalten würde, ob er dann vielleicht auch einige weitere Informationen zur gerechten Beleuchtung des strittigen Sachverhaltes einbringen könnte. Nein, sie unterlassen das alles in wohl schwer sündhafter Nachlässigkeit und tratschen stattdessen mit ihrem dann offensichtlich bösen Mundwerk in der Gegend herum, indem sie die betreffenden Anschuldigungen fahrlässig ungeprüft weiterverbreiten.
Soll ein solches höchst leichtfertiges Desinteresse am wahren Sachverhalt denn unter Umständen keinen Rufmord darstellen bzw. keine Todsünde sein? Bisweilen tritt auch das folgende Fehlverhalten erschwerend hinzu, dass der Angeklagte auf Umwegen von den gegen ihn vorgebrachten Anschuldigungen erfährt und dann seinen Kritikern seinerseits das Angebot macht, sich zu treffen und über alles sachlich zu reden, was stimme und was nicht stimme bzw. was da sachbezogen noch unbedingt ergänzt werden müsste. Aber man schlägt dann auch dieses Gesprächsangebot praktisch aus, man weigert sich bisweilen sogar wiederholt und somit hartnäckig, eine solches klärendes Gespräch stattfinden zu lassen, und zieht es somit offenkundig vor, weiter seine betreffenden Vorurteile zu kultivieren.
Kann man denn mit einer solchen Verleumdungstätigkeit, die das Streben nach Gerechtigkeit ausschließt, wirklich ein Jünger Jesu Christi bleiben? Weist denn eine solche ungerechte Verhaltensweise nicht eher darauf hin, dass man sich seiner eigenen Position eigentlich überhaupt nicht sicher ist, dass man sich aber sich im offensichtlich nennenswerten Mangel an Demut dennoch nicht in der eigenen Bequemlichkeit „aufrütteln“ lassen möchte, um dem betreffenden Beschuldigten dann eventuell sogar auch Recht einräumen zu müssen? Man würde dann ja vor sich und anderen Menschen zugeben müssen, dass man im betreffenden Umfang sehr wohl Unrecht getan und ungerechte Verleumdungen verbreitet habe.
Wenn wir jedem dummen und bösen Gerücht unkritisch Glauben schenken wollten, würden wir dann denn besser sein als die Heiden, wie Jesus einmal in einem etwas anderen Zusammenhang gemahnt hatte: „Tun das gleiche nicht auch die Heiden? Seid also vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist!“ (vgl. Mt 5,46-48.) Wer aber nicht das geringste Interesse an den Tag legen wollte, der Sache objektiv nachzugehen und möglichst im Sinne der göttlichen Gerechtigkeit zu klären, der würde ja wohl kaum den sittlichen Forderungen des Evangeliums Jesu Christi entsprechen. Zumal ja auch der hl. Apostel Jakobus eindringlich vor den Sünden einer bösen Zunge warnt: „Seht, ein kleines Feuer steckt einen großen Wald in Brand! Auch die Zunge ist ein Feuer, eine Welt voll Unrecht. Die Zunge erweist sich unter unseren Gliedern als die Macht, die den ganzen Körper befleckt, ja, von der Hölle entflammt, das Lebensrad in Brand steckt.“ (Jak 3,5f.)
■ Da gab es mal einen Priester, zu dem die glaubenstreuen Gläubigen wie selbstverständlich zur hl. Messe und den Sakramenten gegangen sind. Bei ihm hatte niemand in dogmatischer wie liturgischer Hinsicht irgendetwas auszusetzen – alles war für die betreffenden Gläubigen soweit in Ordnung bzw. alle Beteiligten waren zufrieden und dankbar für die betreffende Messgelegenheit in heutigen schwierigen Zeiten der Kirchenkrise. Gerade wegen seiner kirchlichen Prinzipientreue „verärgerte“ er dann aber einige Personen, die allerdings offensichtlich private Pläne in der betreffenden Gemeinschaft hegten, weswegen gegen ihn seitens dieser Gruppe dann plötzlich der Vorwurf erhoben wurde, er habe einmal ein Buch gelesen, welches angeblich auf dem Index verbotener Bücher gestanden sei und man es daher als Katholik nicht lesen dürfte.
Mit moralisch mehr als nur zweifelhaften Methoden startete man eine echte Hetzkampagne gegen diesen Priester und veranlasste dann sogar eine Reihe von Gläubigen, seine Messfeier zu meiden und ihn als einen Abtrünnigen darzustellen. Man ließ sich auf keine von diesem Priester vorgeschlagenen Gesprächsangebote ein und seine Aufforderung, doch mal etwas konkret vorzulegen, wie er denn wenigstens gegen einen der Glaubenssätze verstoßen haben sollte, blieben unbeantwortet. Man wiederholte nur wie eine eingefahrene Schallplatte den primitiven Spruch, er habe mal ein bestimmtes Buch gelesen.
Ja, die katholischen Priester müssen bisweilen sogar bestimmte Literatur lesen, um eben die Irrtümer der Gegenwart insofern besser zu verstehen, um diese dann eben auf der Grundlage des überlieferten katholischen Glaubens verständlicher widerlegen zu können! Zumal sie auch die pastorale Pflicht haben, den Gläubigen mehr argumentativ als nur rein polemisch die falsche Logik der modernen „Geisteswissenschaften“ darzulegen, um die Menschen nämlich auch dadurch im wahren Glauben zu stärken!
Das Traurige und Beschämende an diesem mir bekannt gewordenen Fall aber ist, dass sogar auch manche andere Priester nicht auf das an sie ausdrücklich und wiederholt herangetragene Gesprächsangebot des betreffenden Opfers der Verleumdung eingegangen sind, sondern sich rein formalistisch auf irgendwelche Sekundärliteratur berufend die betreffende eigentlich dringend notwendige Unterhaltung mit dem betreffenden Mitbruder hartnäckig verweigern. Dabei missachten sie auch den ehernen Grundsatz der katholischen Moral und des kirchlichen Rechts, wonach unbedingt objektiv-konkret nachgewiesen werden muss, ob und wo jemand inhaltlich etwas gelehrt habe, was dem von Jesus Christus geoffenbarten und in der katholischen Kirche überlieferten apostolischen Glauben widerspräche! Einen solchen Versuch der betreffenden Beweisführung hat aber im betreffenden Fall bezeichnenderweise niemand auch nur unternommen, geschweige denn sachliche Gründe oder Argumente vorlegen können! Manche ehrlichen Kritiker gaben auf konkrete Nachfrage sogar ausdrücklich zu, dass an diesem Priester lehrmäßig ganz deutlich seine Rechtgläubigkeit wahrzunehmen sei.
Wir beklagen heute ja äußerst schmerzlich die Einseitigkeit der Berichterstattung unserer angeblich liberalen Medien, wo doch vieles ideologisch geprägt ist und der Gegenposition nicht wirklich Raum zur sachlichen Argumentation eingeräumt wird. Denn da besteht oft genug weniger das Interesse an einer sachlichen Darlegung von Fakten, sondern vordergründig lediglich an einer einseitigen Polemik gegen vorgegebene sogenannte „Feinde der Demokratie“. Irgendwie Sowjetunion 2.0!
Wie heuchlerisch und unglaubwürdig würden wir dann aber aussehen, wenn wir auf der anderen Seite selbst ein sachliches Gespräch jemand verweigern würden, zumal wiederholt und somit hartnäckig, um welches sogar der Beschuldigte selbst inständig bittet. Haben wir, und da vor allem die Priester mit ihrem Zugang zum Vertrauensbereich der Gläubigen, denn nicht schon die Erfahrung machen können oder müssen in unserem Leben, dass man einen Fall manchmal sogar ganz anders beurteilen muss, wenn man nicht nur auf das hört, was so alles über eine bestimmte Person erzählt wird, sondern auch dem betreffenden angeblichen „Bösewicht“ dann das Ohr schenkt und sachlich-unvoreingenommen seine Version der behaupteten Ereignisse vernimmt bzw. mit dem Inhalt des Tratschens gegen ihn vergleicht?! Heißt es ja nicht umsonst: „Es möge auch die andere Seite gehört werden!“
■ Der hl. Josef in seinem Umgang mit der Muttergottes, der allerseligsten Jungfrau Maria, ist uns gerade auch in dieser Hinsicht das beste Beispiel, wie es im zwischenmenschlichen Bereich zugehen soll. Wie oben bereits dargelegt, hat er nicht rein formalistisch gedacht und gehandelt, indem er nur auf die Tatsache der bereits eingetretenen Schwangerschaft seiner Verlobten geschaut hätte, bevor er sie nämlich zu sich nahm. Nein, er war im neutestamentarisch-göttlichen, im christlich-katholischen Sinn „gerecht“, indem er auch die auf ihn bis dahin einen außergewöhnlichen Eindruck hinterlassende Tugendhaftigkeit Mariens berücksichtigt hatte und sie somit nicht im Praktizieren irgendeiner formalen Paragraphenreiterei übereilt zur Ehebrecherin und somit ehrenlosen Frau abgestempelt, geschweige denn vor seiner gesamten Umgebung darüber getratscht hätte!
Nein, Josef war ehrenhaft. Und sicher hat dann auch Maria eine umso höhere Achtung und Wertschätzung ihm gegenüber aufgebracht, da er sich ihrer und ihrem göttlichen Geheimnis in gewisser Weise würdig erwiesen hatte, weswegen ihn dann wohl auch die entsprechende göttliche Wahl getroffen hatte! Er war fähig und willens, über den äußeren Schein des scheinbar Realen zu denken und höhere Gerechtigkeit zu suchen!
Gerade in solchen oder analogen Konfliktsituationen zeigt sich unter anderem auch bei uns am besten, wie fest unser Glaube an den Dreifaltigen Gott denn wirklich sei bzw. wie stark unsere Verwurzelung in der Liebe Christi bereits vorangeschritten ist! Indem wir nämlich unseren Glauben nicht nur mit frommen Worten, sondern mit entsprechenden von uns erwarteten Taten belegen. Daran wird ersichtlich, ob wir dann nur „fromm“ mit der Zunge schwätzen können oder wirklich bereit sind, die entsprechenden moralischen Grundsätze anzuwenden und dann eben auch jedem Beschuldigten die Gelegenheit zur Aussprache gewähren, bevor wir dazu schreiten, ihn zu „verdammen“.
Dann wird sich auch erst erweisen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die betreffenden Vorwürfe denn zutreffen oder ob sie vielleicht sogar eindeutig eine böse Verleumdung darstellen, an welcher ich mich bis dahin vielleicht auch selbst irgendwie beteiligt hatte. Wie Jesus neunundneunzig Schafe stehen lässt, um dem einen verlorenen Schaf nachzugehen, und sich dann sehr darüber freut, dass es gefunden werden konnte (vgl. Mt 18,12-14), so sollten auch wir bereit sein, echten wie vermeintlichen verlorenen Schafen nachzugehen, um sie dann auch anzuhören und ihnen so eine Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Und wer weiß, wer danach fester in Reue an seine Brust werde schlagen müssen…!
Denn wenn wir wirklich für die wahre katholische Kirche eintreten wollen, dann müssen wir zuallererst bereit und willens sein, die Wahrheit ganz zu lieben und zu suchen. Was müsste man aber über einen Katholiken, geschweige denn über einen Priester sagen, wenn dieser sich hartnäckig weigern sollte, einem Schäflein oder sogar einem eigenen Mitbruder zu sagen, woran er denn „erkrankt“ sei, zumal wenn dieser ihn ausdrücklich darum bittet, um auch so gegebenenfalls die eigene Seele vor dem ewigen Verderben retten zu können!?!
Jedenfalls hat Jesus niemand zurückgewiesen, der Ihn sprechen und Ihm auf die eine oder andere Weise seine Seele ausschütten wollte! Interessanterweise hat Er dann z.B. den Zöllner Levi ausdrücklich gelobt (vgl. Lk 18,1-10) und dem reuigen Schächer am Kreuz das Paradies noch an demselben Tag versprochen (vgl. Lk 23,39-43), nachdem Er diese beiden erst einmal hat zu Wort kommen lassen, obwohl die Zöllner bei den Juden damals verhasst waren und der Schächer ja tatsächlich ein Verbrecher war!
Wie zutreffend hat es Paulus formuliert: „Ertraget einander und verzeiht, wenn einer am anderen etwas auszusetzen hat. Wie der Herr euch vergeben hat, so sollt auch ihr vergeben. Über all das habt die Liebe, die das Band der Vollkommenheit ist. In euren Herzen walte der Friede Christi. Dafür seid ihr als ein Leib berufen.“ (Kol 3,12-15.) Josef und Maria haben uns vorgelebt, wie zunächst einmal auf familiärer Ebene die zwischenmenschlichen Beziehungen sein sollten. Als katholische Christen bilden wir als Kirche ebenfalls eine Familie, den Leib Christi, in welcher jedes Glied eine eigene ihm letztendlich von Gott übertragene Aufgabe erfüllen soll. Als eine solche geistige katholische Familie können wir uns unter anderem auch nur dann bewähren und der Welt ein beredtes Zeugnis von der Liebe Christi ablegen, wenn wir auch von demselben Geist des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe beseelt sind, welcher ganz speziell Jesus, Maria und Josef erfüllt hat!

P. Eugen Rissling


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